Fürsorge in Theresienstadt

 

von Stefan Rui Baur

Theresienstadt war ein Ghetto-KZ im Gebiet des heutigen Tschechien, das für den Landkreis Tübingen besonders wichtig war. Denn Theresienstadt war der Zielort für die meisten Juden, die aus dem Kreisgebiet in den Holocaust deportiert worden sind.

Die Besonderheit an diesem KZ war, dass die deutsche Lagerleitung die Organisation des Alltags in einem jüdischen Ältestenrat überließ. Der baute kommunale Strukturen auf, wie man sie aus deutschen Städten kennt. Dadurch entstand ein Anschein von Normalität, der das Elend im Ghetto nur vordergründig überdeckt. Unter anderem richtete der Ältestenrat ein Fürsorgesystem ein. Dafür arbeiteten 115 Fürsorgerinnen und Fürsorger, von denen der Überlebende des KZ H.G. Adler meinte: „Fürsorger und Fürsorgerinnen stellen ein Elitekorps dar, welches meistens aus fachlich geschulten Frauen besteht…“ Es gab also Zuständige, die ihre Arbeitskraft für die nahezu 12.000 „Befürsorgten“ einsetzten. Es gab Zuständige für die Alters- und Jugendfürsorge sowie die Pflege der Kranken und Behinderten. Da das Deutsche Reich besonders viele ältere Menschen nach Theresienstadt deportierte, war der Fürsorgebedarf besonders hoch. Adler hat für Juli 1943 dokumentiert: „Bei 46.395 Insassen waren 8984 Personen ganz oder teilweise der Fürsorge bedürftig, das sind über 19%. Dazu kamen noch die größeren Kinder als Pfleglinge der ‚Jugendfürsorge‘ und die vielen Kranken.“

Den Fürsorger*innen fehlten meist die nötigsten Mittel, die sie eigentlich brauchten. Ein genauerer Blick auf Sachleistungen des Fürsorgesystems macht das deutlich. Denn diese „Sachleistungen“ spiegelten den systematischen Mangel, der in dem Ghetto-KZ herrschte. Die sachlichen Fürsorgeleistungen umfassten in erster Linie Reparaturen von Kleidung, Brillen, Prothesen, Krücken, Stühlen und Betten, die die „Befürsorgten“ bereits hatten.

Der Beitrag entstand im Rahmen des Seminars „Biografisches Arbeiten in der Erinnerungskultur“ von Prof. Wolfgang Sannwald am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft im Sommersemester 2020. Adler, H. G. Theresienstadt 1941 – 1945. Die wichtigste Quelle war die Untersuchung und Darstellung eines Überlebenden: Adler, H.G.: Theresienstadt 1941–1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Tübingen 1955.

Ev0 20200002 de

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