Ghettogeld: ein trügerischer Schein

Juliette Eckstein mit Wolfgang Sannwald

Das Kreisarchiv Tübingen hat jüngst einen Geldschein über 50 Kronen antiquarisch erworben. Es dokumentiert mit diesem Objekt Lebensverhältnisse in dem Ghetto-KZ, das für den Landkreis Tübingen besonders wichtig war. Denn Theresienstadt war der Zielort für die meisten Juden, die aus dem Kreisgebiet in den Holocaust deportiert worden sind.

Der Schein ist „am 1. Jänner 1943“ in Theresienstadt ausgegeben worden. Ausgegeben hat ihn „Der Älteste der Juden in Theresienstadt Jakob Edelstein“. Es handelt sich dabei um die erste Auflage von „Ghettogeld“ der jüdischen Selbstverwaltung, das die übergeordnete deutsche Lagerverwaltung eingerichtet hatte. Der als „Quittung“ bezeichnete Schein trügt allerdings.

Die Häftlinge bekamen in dieser Währung beispielsweise ihren „Lohn“ für Arbeit ausgezahlt, zu der sie gezwungen wurden. Dieses Geld galt lediglich im Ghetto. Wer floh konnte damit außerhalb des bewachten Lagers nichts anfangen.

Aber auch im Lager selbst hatte das Geld praktisch keinen Wert. Denn dort gab es kaum Angebote. Als „Waren“ boten die „Läden“ an, was die Lagerverwaltung Deportierten bei ihrer Ankunft abgenommen hatte und Dinge aus dem Nachlass von Verstorbenen. Neuwaren kamen nicht zum Verkauf.

Wer ein Paar – gebrauchte – Schuhe kaufen wollte, musste außerdem einen „Sonderbezugsschein-Antrag“ bei der Selbstverwaltung des Lagers stellen. Erst wenn diese den Antrag bewilligt hatte, konnten Antragstellende in der Theorie ein Paar Schuhe bekommen.

In der Praxis dauerte es allerdings oft Wochen oder Monate, bis ein (passendes) Paar Schuhe ins Angebot kam. Im Extremfall musste erst jemand sterben oder ein neuer Deportations-Transport ankommen, bevor der „Laden“ etwas Passendes hatte. Nicht selten war der bewilligte Bezugsschein dann schon wieder abgelaufen. Der Überlebende H.G. Adler hat Schuhe, Wintermäntel, Sommer- und Winterkleider oder Pullover als „Luxusgüter“ bezeichnet. Nicht nur sie waren rar, noch schlimmer erlebten viele Deportierte, dass sie selbst für den Grundbedarf nicht genug bekamen, insbesondere Essen fehlte.

Ghettogeld war also in mehrfacher Hinsicht ein trügerischer Schein.

Der Beitrag entstand im Rahmen des Seminars „Biografisches Arbeiten in der Erinnerungskultur“ von Prof. Wolfgang Sannwald am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft im Sommersemester 2020. Adler, H. G. Theresienstadt 1941 – 1945. Die wichtigste Quelle war die Untersuchung und Darstellung eines Überlebenden: Adler, H.G.: Theresienstadt 1941–1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Tübingen 1955.

Ev0 20200001 de

Kategorien: Geschichte, Erinnerungskultur

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