Chancen und Schwierigkeiten der Digitalisierung in der Erinnerungskultur

Jugendliche fotografieren mit ihren Smartphones in der Gedenkstätte des KZ Auschwitz. Foto: Malin Kaiser

 

Online-Tagung und Seminar „Jugendengagement in der Erinnerungskultur international“ 3. bis 8. November 2020

Die Corona-Pandemie 2020/21 hat die Digitalisierung in der Erinnerungskultur stark beschleunigt. Wie kann sie sinnvoll eingesetzt werden? In einem Seminar des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen zum Thema Jugendengagement in der Erinnerungskultur unter Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Sannwald diskutierten Studierende mit internationalen Gästen darüber. Als Gäste nahmen am Seminar Jana Schumacher vom Jugendguide-Netzwerk des Landkreises Tübingen, Stanislawa Piotrowska und Elsbieta Pasternak von der Gedenkstätte Oswiencim/Auschwitz in Polen, Stephanie Wegener vom Adolf-Bender-Zentrum im Saarland, Sandra Brenner und Peri Bausch vom Landesjugendring Brandenburg, Jan Springl von der Gedenkstätte Terezin/Theresienstadt in Tschechien, Marketa Cekanova von Post bellum in Prag, Roman Cernik vom Johancentrum Universität Pilsen in Tschechien, sowie Philipp Lukas und Franziska Hendrich vom Förderverein Projekt Osthofen e.V. aus Rheinland-Pfalz teil.

In der digitalen Tagung zeigte sich, dass die Digitalisierung von vielen der teilnehmenden Gedenkstätten und -einrichtungen als Chance gesehen und in unterschiedlichen Bereichen genutzt wird. Allerdings wurden auch Zweifel über die Vermittlungsmöglichkeiten mit digitalen Angeboten geäußert.

Digitalisierung bedeutet, dass Informationen und Strukturen von analogen in digitale Formate umgewandelt werden und dass Menschen sich auf digitalem Weg miteinander austauschen. Besonders in der Arbeit mit Jugendlichen werden digitale Formate als wichtig angesehen. Die jüngeren Generationen sind mit Computern und Handys aufgewachsen und nehmen diese deswegen als selbstverständlichen Teil ihres Lebens wahr. Gedenkstätten versuchen deshalb, ihre Angebote durch digitale Formate für Jugendliche attraktiv zu machen und gleichzeitig den Jugendlichen eine Chance zu bieten, sich selbst in die Erinnerungsarbeit einzubringen.

Soziale Medien sind ein wichtiger Teil der digitalen Angebote. Hier können Gedenkstätten nicht nur Inhalte vermitteln, sondern auch für analoge Angebote werben und damit neue Personenkreise erreichen. Außerdem bieten einige Formate wie Online-Workshops oder digitale Rundgänge auch die Möglichkeit, dass Personen die nicht vor Ort sein können trotzdem die Angebote der Gedenkstätten nutzen können. Die Pandemie und die damit einhergehenden Lockdowns haben dazu geführt, dass Erinnerungsinstitutionen jetzt noch gezielter an der Umsetzung von solchen Digitalisierungsprojekten arbeiten. Doch auch vor Ort können digitale Hilfsmittel wie Filme oder Geocaching den Gedenkstättenbesuch abwechslungsreicher gestalten.

Die Digitalisierung hat allerdings auch Grenzen. Es kann problematisch sein, dass online so viele Informationen aus unterschiedlich glaubwürdigen Quellen verfügbar sind, weil diese von den Nutzer*innen häufig nicht genug hinterfragt werden und sich so Fehlinformationen verbreiten. Außerdem können digitale Formate nicht alle analogen Angebote vollständig ersetzen. Zum Beispiel lösen live erlebte Gespräche mit Zeitzeug*innen bei den Zuhörer*innen mehr Emotionen aus als Filmaufnahmen. Gerade in Bezug auf Zeitzeug*innen kann das analoge Format aber nicht mehr lange beibehalten werden, da die meisten der Überlebenden des Holocaust mittlerweile gestorben sind und es in ein paar Jahren niemanden mehr geben wird, der den Nationalsozialismus miterlebt hat. Der Landesjugendring Brandenburg versucht deswegen mit „Postzeitzeugen“ zu arbeiten, deren Erzählungen sind aber oft ungenau. Von der „unersetzlichen Emotionalität“ persönlicher Gespräche sprach auch die Vertreterin des Adolf-Bender-Zentrums und der Vertreter der Gedenkstätte Terezin/Theresienstadt. Sie suchen weiterhin nach Lösungen für die Zeit nach den Zeitzeug*innen.

Auch die Wirkung des Ortes ruft bei Besucher*innen oft emotionale Reaktionen hervor und lässt sich „nur schwer mit dem Online-Rundgang einfangen“, berichtete Phillip Lukas von der Gedenkstätte Osthofen.

 

Autorin: Lara Peters

Redaktion: Kreisarchiv Tübingen

Auswertung zu der Online-Tagung „Jugendengagement in der Erinnerungskultur international“ von Landkreis Tübingen und Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen 2020, Leitung: Prof. Dr. Wolfgang Sannwald

 

 

Quellen:

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 609: LUI Grundlagen

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 610: LUI Jugendguide Tübingen

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 611: LUI Gedenkstätte Oswiencim (Auschwitz)

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 612: LUI Reflexion Oswienzim (Auschwitz)

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 613: LUI Adolf Bender 1

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 614: LUI Adolf Bender 2

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 615: LUI Adolf Bender 3

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 616: LJR Brandenburg

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 617: LUI Terezin

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 618: LUI Terezin Nachgespräch

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 619: LUI Pilsen

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 620: LUI Osthofen

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 621: LUI Nächste Schritte

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 622: LUI Vorbereitung Präsentation

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 623: LUI Abschlussbesprechung

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 624: LUI Podium

  

 

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