Der Jüdische Friedhof in Wankheim – historischer Überblick

1774 gestattete die adelige Ortsherrschaft St. André den Zuzug jüdischer Familien in ihr ritterschaftliches Dorf Wankheim bei Tübingen. Die bürgerliche Gemeinde Wankheim verpachtete der jüdischen Gemeinschaft ab November 1774 einen Begräbnisplatz. Dieser bestand aus einem Teil des heutigen Jüdischen Friedhofs. Die jährliche Grundgebühr der Pacht betrug drei Gulden. Dazu kamen Kosten pro bestatteter Person je nach Alter von einem Gulden oder zwei Gulden. Die israelitischen Familien Wankheims brachten die Kosten durch eine Umlage untereinander auf, aus der sie auch andere Aufwendungen ihrer jüdischen Gemeinschaft finanzierten. Seit 1843 drängte die Israelitische Oberkirchenbehörde im Königreich Württemberg die israelitische Gemeinde Wankheim zum Kauf eines Friedhofs. Mit dem Kaufvertrag vom 7. März 1847 kaufte die israelitische Kirchengemeinde das bis dahin gepachtete Grundstück „im Markreutle“ um 200 Gulden. Der Vertrag beendete die Gebührenpflicht pro verstorbener Person. 1863/64 und 1899 erwarb die israelitische Gemeinde weitere Grundstücke hinzu, so dass der Friedhof schließlich 10 Ar 88 Quadratmeter maß.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zogen die meisten jüdischen Familien Wankheims in benachbarte Städte, vor allem nach Tübingen. Im Mai 1882 trug die israelitische Oberkirchenbehörde dem Rechnung, indem sie den Sitz der fortbestehenden israelitischen Gemeinde nach Tübingen verlegte. Danach firmierte die israelitische Gemeinde Tübingen als Inhaberin des Friedhofs. In Folge der 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4. Juli 1939 wurde die Jüdische Gemeinde Tübingen in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ zwangseingegliedert. Die Reichsvereinigung stand unter der Kontrolle des Reichssicherheitshauptamtes, das im Deutschen Reich unter anderem die Verfolgung, Ausbeutung, Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung plante, koordinierte und betrieb. Die Reichsvereinigung verkaufte das Friedhofs-Grundstück am 2. Juli 1943 um 75 Reichsmark an die Gemeinde Wankheim. Nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus restituierte die damals selbständige Gemeinde Wankheim durch Vergleich vom 18. April 1949 das Grundstück an die Israelitische Kultusgemeinde Württemberg.

1945 galt der Friedhof als „weitgehend zerstört“. Er soll wohl 1938/1939 geschändet worden sein. 1946 beauftragten Stadt und Landkreis Tübingen eine umfangreiche Sanierung. 1947, 1950, 1984, 1986 und 1990 kam es zu weiteren Schändungen auf dem jüdischen Friedhof Wankheim: Grabsteine und ein Gedenkstein wurden umgestürzt, zerschlagen, beschmiert.

Autor: Wolfgang Sannwald

Foto: Wolfgang Sannwald, 2021

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