Erinnerungsknoten an Tübinger Straßenschildern

Von Linda Kreuzer

Darf eine Straße heutzutage noch nach einem bekannten Antisemiten, NS-Mittäter oder Kolonialisten benannt sein? In Tübingen weisen jetzt Knoten in den Pfosten einiger Straßenschilder darauf hin, dass auch hier etwas nicht stimmt. Sie sollen den Diskurs und die Problematik dieser Namen in der Tübinger Öffentlichkeit bewusstmachen.

Die Debatte um Straßennamen ist im deutschen Diskurs präsenter denn Je. Eine siebenköpfige Expertenkommission überprüft und bewertet aktuell im Auftrag der Stadt Tübingen 14 Straßennamen. Sie erarbeitet bis Herbst 2022 auf geschichtswissenschaftlicher Grundlage Vorschläge für Stadtrat und Ortschaftsräte. Dann entscheiden sie darüber, ob die Straßen umbenannt werden, oder ob Infotafeln über Hintergründe der Personen aufklären sollen.

Einer der umstrittenen Namen ist Eduard Haber. Der ehemalige Bergbau-Ingenieur machte in der Kolonialverwaltung des deutschen Kaiserreichs Karriere. Er engagierte sich im Reichskolonialbund, arbeitete für die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes und brachte es bis zum kommissarischen Gouverneur der ehemaligen Kolonie Deutsch-Neuguinea.

Nachdem Deutschland diese Kolonie 1919 verlor, stellte ihn die Universität Tübingen als Hochschullehrer für internationale Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Forstwirtschaft an. 1932 mitunterzeichnete er den Aufruf „Deutsche Hochschullehrer für Hitler“ und bekannte sich damit als Unterstützer des Nationalsozialismus. Als Hitler 1933 zuerst zum Reichskanzler ernannt wurde und dann die Macht „ergriff“, engagierte sich Haber in einer Reihe von nationalsozialistischen Organisationen: NS-Rechtswahrerbund, NS-Lehrerbund, Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, NS-Altherrenbund, Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps. In letzterem bekleidete er den Offiziers-Rang eines Obersturmführers. Die Stadt Tübingen ehrte ihn am 1. Oktober 1936 zu seinem 70. Geburtstag mit der Benennung einer Straße. 1937 trat er der NSDAP bei. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Haber aufgrund seines hohen Alters nie für seine NS-Vergangenheit belangt. Jetzt prüft die Expertenkommission seine kolonialistische und nationalsozialistische Vergangenheit.

Quellen:

https://www.tuebingen.de/35727.html (29.05.2022)

https://www.historischer-augenblick.de/haber1 (29.05.2022)

Foto: Eduard-Haber-Straße in Lustnau / Linda Kreuzer

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