Wooden Archives – Ausstellung des Tübinger Künstlers Felix Votteler in Grafeneck

Ausstellung Wooden Archives von Felix Votteler in Grafeneck

Am 15.01.2023 schrieb Dr. Wolfgang Sannwald, Kreisarchivar des Landkreises Tübingen, eine E-Mail an den Tübinger Künstler Felix Votteler. Der Inhalt der Nachricht war ein Foto, darunter die Worte „Grafeneck heute“. Auf dem Foto zu sehen war der Stamm einer gefällten Esche. Felix Votteler erzählte bei der Eröffnung seiner Ausstellung “Wooden Archives” im Dokumentationszentrum Grafeneck vom Beginn seiner ausgestellten Arbeiten. Sannwald führte damals mit Kathrin Bauer von der Gedenkstätte Grafeneck einen Workshop für die vom Landkreis Tübingen und KulturGUT e.V. in Zusammenarbeit mit dem Landkreis Reutlingen qualifizierten Jugendguides durch. Eine Ausstellung mit erinnerungskulturellen Holzobjekten aus Holz vom Jüdischen Friedhof Wankheim von Felix Votteler  hatte der Landkreis Tübingen 2022 eröffnet. Votteler erhielt von der Samariterstiftung Grafeneck einen Stamm in drei Teilen geschenkt. Die wogen jeweils mehr als eine halbe Tonne. An der Drechselbank von Votteler in seinem Kellerraum in einem Tübinger Mietshaus entstanden die drei Objekte, die seit dem 15. Oktober in Grafeneck ausgestellt sind.

Votteler, der 1988 in der Umgebung von Kassel geboren ist, erzählte, wie er aus den Halbtonnenstämmen dünnwandige Holzgefäße von etwa zwei Kilogramm ausspante. Wie die zu bezeichnen sind, ist nicht klar. Vordergründig wird man an Vasen erinnert. Da Votteler mit Frischholz arbeitet, verformt sich dieses ständig, er legt zudem vorhandene Löcher, Aufspaltungen, Äste und Maserungen frei. Votteler sägte die Rohlinge zunächst mit der Kettensäge, dann ließ er sie auf seiner Drehbank hochtourig rotieren. Von Hand brachte er die Rohlinge in eine runde Form, hölte sie aus. Es entstanden Gefäße, deren Wände wenige Millimeter stark sind. Das Aushöhlen war nicht nur wegen der Ästhetik wichtig, sondern auch, weil das Holz dadurch Spannungen nachgeben konnte. Es brach dabei nicht, sondern verzog sich und bekam ganz eigene Formen. Schließlich behandelte Votteler die Objekte, bürstete oder schliff, behandelte eines mit Eisenoxiden, eines mit Kalk, eines mit Öl. Bei der Ausstellungseröffnung hob Votteler das größte Objekt an einem ausgestreckten Arm empor.

Votteler ließ sich bei der Bearbeitung vom Ort inspirieren, an dem das Holz gewachsen ist. In Grafeneck ließ die T4-Dienststelle in Berlin 1940 mindestens 10.654 Menschen ermorden. Auch im Landkreis Tübingen gibt es kaum eine Gemeinde, aus der nicht Menschen in Grafeneck ermordet worden wären. Die Mordopfer waren Menschen vor allem in Psychiatrischen Kliniken vor allem Südwestdeutschlands, etwa Zwiefalten. Die nationalsozialistische Rassenideologie definierte nicht nur Menschengruppen aus rassischen Gründen als schädlich, sondern auch Menschen der eigenen “Volksgruppe”, die sie als “erbkrank” definierte. Busse holten täglich etwa 70 Menschen in den Anstalten ab, die noch am Tag ihrer Ankunft in der Gaskammer ermordet wurden. Die Ermordeten wurden dann in einem Krematorium verbrannt, die Asche verscharrt. In Grafeneck mordeten Ärzte und das Personal mit Giftgas. Das Personal und die in Grafeneck entwickelte industrialisierte Methode des Massenmordes wurde 1941 in Vernichtungslager wie Majdanek, Belcez, Sobibor oder Treblinka transferiert.

Vottelers Konzept der “Stadtbäume” setzt auf die erinnerungskulturelle “Aufladung” der Bäume, die in Grafeneck wuchsen, als der Massenmord geschah. Sie standen hier bereits, als Busse die ersten Opfer zur Gaskammer brachten. Die Abgase des Krematoriums und der Busse erreichten sie. Sie wurden ausgerechnet 1940, dem Jahr in dem 10.654 Menschen ermordet wurden, zum Naturdenkmal erklärt. Die Allee und die meisten ihrer Bäume blieben erhalten, als die letzten Täter Grafeneck verließen. Sie waren die Zeugen dieses Ortes und seiner Geschichte – auch in den folgenden Jahrzehnten, in denen zu Grafeneck geschwiegen wurde. Votteler will mit den Bäumen daran erinnern, dass die Bäume die Geschichte auch auf ihre Art erzählen können, daher der Titel “Wooden Archives”. Er ist überzeugt, dass die gefertigten Objekte durch Formen, Texturen und Farben einen eigenen, sinnlich erfahrbaren Zugang zu Grafeneck schaffen können.

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