Kein Knoten an der Zetkin-Straße

Bei der Diskussion über Knoten für Straßenschilder entschied sich der Tübinger Gemeinderat in seiner Sitzung vom 26. Oktober 2023 in vier Fällen gegen das Anbringen eines Knotens, ein Knoten kam undiskutiert hinzu. Der Gemeinderat hatte bei einer Straßennamen-Kommission unter Vorsitz von Professor Johannes Großmann, der damals noch am Seminar für Zeitgeschichte der Universität Tübingen lehrte, Empfehlungen für die Umbenennung von Straßen bestellt. Über die vorgeschlagenen Umbenennungen verhandelten der Gemeinderat und die Ortschaftsräte in anderen Sitzungen. Im Laufe der Überprüfung von Straßennamen war als erinnerungskulturelle Form zusätzlich ein symbolischer Knoten aufgekommen, mit dem die Stadt Pfosten für Schilder bestimmter Straßennamen kennzeichnen ließ. Gegenüber der Umbenennung würde bei der Vergabe von Knoten der bisherige Straßennamen bleiben. Mit den Knoten wolle die Kommission, wie es in deren Bericht heißt, „nur darauf aufmerksam machen, dass sich eine genauere Auseinandersetzung mit dem Straßennamen lohnt.“ Der Gemeinderat beriet jetzt über eine Vorlage “Kommentierung von Straßennamen durch Knoten” (Vorlage 226/2023).

Vor allem um einen Knoten für Clara Zetkin, den die Kommission vorgeschlagen hatte, diskutierten TübingerInnen. Eine Initiative „Kein Knoten für Zetkin“ hatte sich gegründet. Am Donnerstag stimmten 32 Mitglieder des Gemeinderats ab. Knotenfrei bleiben ihrem Votum gemäß die Straßenschilder von Clara Zetkin (20 Stimmen, 7 Enthaltungen), Ernst Wilhelm Bierer (16 Stimmen, 4 Enthaltungen), Ernst von Fürst (15 Stimmen, 6 Enthaltungen) und Johann Ludwig Krapf (17 Stimmen, 4 Enthaltungen). In diesen Punkten änderten die Fraktionen den Antrag der Verwaltung. Von den zur Kommentierung mit Knoten vorgeschlagenen Straßennamen hielten die Gemeinderäte demnach an der Doblerstraße, der Eduard-Spranger-Straße, der Isoldenstraße, dem Schmitthennerweg in Kilchberg und dem Wilhelm-Schussen-Weg fest. Ein Knoten soll zudem mit jenen Straßennamen verknüpft bleiben, die zur Umbenennung vorgeschlagen waren, die aber auf Beschluss des Gemeinderats oder der Ortschaftsräte nicht umbenannt werden. Dazu gehört aufgrund eines Beschlusses, den der Ortschaftsrat Pfrondorf bereits gefasst hat, die Karl-Brennenstuhl-Straße in dem Ortsteil. Ohne vertiefende Diskussion beschloss der Gemeinderat einen zusätzlichen Knoten für die Tübinger Bismarckstraße (13 Stimmen, 7 Enthaltungen, 12 Nein-Stimmen). 

Bei der anderthalbstündigen Sitzung des Gemeinderats ging es in vielen Stellungnahmen vor allem um die Arbeit der Straßennamenkommission und das Verhalten der Initiative „Kein Knoten für Zetkin“, insofern eher pauschal um die Ergebnisse der Kommissionarbeit. Eine deutliche Mehrheit der Fraktionen im Gemeinderat betonte in ihren Stellungnahmen den Wert der Arbeit der Straßennamenkommission und der städtischen Kulturverwaltung. Susanne Bächer von der Fraktion der Grünen sprach beispielsweise von der Chance, die aus der Nähe zur Universität resultiere und von der „anerkennenswerten“ Arbeit der Straßennamenkommission. Martin Sökler von der SPD äußerte „Respekt“ vor der Kommissionsarbeit. Thomas Unger von der Tübinger Liste bekannte sich ebenfalls zum Ergebnis der Kommission, die man ja auch eingesetzt habe. Ulrike Ernemann von der CDU dankte für die „Näherung an Wahrheit“ und den Wert solider Expertise in Zeiten schneller Nachrichten und Fake-News. Das sei „ein Wert für sich“. Gerlinde Strasdeit von der Fraktion der Linken kritisierte demgegenüber die Kommissionsarbeit. Ihr Kritikpunkt war vor allem, dass die Kommission in ihrer Ergebnistabelle und in ihren Kriterien Clara Zetkin im Zusammenhang von Personen aufgeführt habe, die Nazis gewesen seien.

Bei der Sitzung distanzierten sich die meisten Fraktionen von Verhaltensweisen der Initiative „Kein Knoten für Zetkin“ oder aus deren Umfeld. Susanne Bächer von den Grünen und Thomas Unger von der Tübinger Liste nannten erhobene Vorwürfe gegen die Stadtverwaltung und die Kommission „nicht angemessen“. Dietmar Schöning von der FDP meinte, die Initiative „Kein Knoten für Zetkin“ habe es sich „zu einfach gemacht“, man sei durch den Bericht der Expertenkommission „am besten beraten“. Ulrike Ernemann von der CDU zeigte sich erschrocken über „die Verbissenheit“, mit der zu Clara Zetkin diskutiert worden sei. Andrea Le Lan von der SPD meinte, dass der Vorwurf unwissenschaftlichen Arbeitens gegenüber der Kommission in „Richtung Diffamierung“ gehe. Martin Sökler von der SPD teilte zwar den Respekt vor der Arbeit der Kommission, machte sich gleichzeitig aber für Stellungnahmen Geschichtsinteressierter „ohne akademische Weihen“ stark. Susanne Bächer von den Grünen äußerte sich über eine erst nach Monaten erfolgte Stellungnahme der Tübinger Geschichtswerkstatt enttäuscht. Dietmar Schöning meinte dazu, er habe sich über diese Stellungnahme „geärgert“. Sie enthalte nur einen Satz darüber, dass man der Initiative „Kein Knoten für Zetkin“ folge, keine Argumente dazu.

Inhaltlich setzten sich die Gemeinderäte und Gemeinderätinnen vor allem mit Aspekten aus der Biografie Clara Zetkins auseinander. Im Bericht der Straßennamenkommission wird sie unter anderem “als Anklägerin der Kommunistischen Internationale im Moskauer (Schau)Prozess gegen die sogenannten Sozialrevolutionäre, die angeblich den Aufstand der Matrosen von Kronstadt im Vorjahr konspirativ unterstützt hätten”, betrachtet. Als ethisches Problemfeld bezeichnet der Kommissionsbericht die „Mitwirkung an Justizverbrechen“. Es heißt in dem Bericht weiter: „Zetkin sprach sich jedoch, gemeinsam mit Lenin und Charles Rappoport, erfolgreich gegen die Vollstreckung der Todesurteile aus, mit denen der Prozess zu Ende gegangen war (1922).“ In einer Stellungnahme zur Beratung des Gemeinderats wiesen die Kommissionsmitglieder darauf hin, dass es bereits einen Präzedenzfall für die Umbenennung einer Clara-Zetkin-Straße in Berlin gab. Die Kommission habe deshalb aus Sorgfaltspflicht auch den Namen überprüfen müssen. Das zentrale Argument für eine Markierung und Kommentierung der Clara-Zetkin-Straße sei für die Kommission die Rechtfertigung Clara Zetkins der beantragten Todesstrafe gewesen. In ihrer ausführlichen und sehr gut dokumentierten Rechtfertigung habe Zetkin “unverzichtbare rechtsstaatliche Prinzipien missachtet” und vertreten, dass den Angeklagten grundlegende Rechte vorenthalten wurden. Das vom „Aktionsbündnis ,Kein Knoten für Zetkin‘“ formulierte sogenannte „Fact Sheet“ nehme “lediglich in höchst selektiver und entstellender Form” auf den Kommissionsbericht Bezug. Susanne Bächer hatte eine 100-seitige Rechtfertigung Clara Zetkins zu ihrem Auftritt als Anklägerin der Komintern gelesen und zeigte sich „skeptisch“ gegenüber der Person. Dietmar Schöning konfrontierte seine RatskollegInnen mit Quellenzitaten aus den damaligen Zeitschriften „Rote Fahne“ und „Der Sozialdemokrat“, die er zu den Prozessen gegen die „Sozialrevolutionäre“ ausgewertet hatte. Die Aussagen, die darin über den Auftritt Clara Zetkins wiedergegeben wurden, könne man nicht ausblenden. In ihrer Abwägung zum Einsatz Clara Zetkins unter anderem für Frauenrechte lehnte eine Mehrheit von 20 der 32 abstimmungsberechtigten Gemeinderatsmitglieder den Knoten für die Zetkin-Straße ab. An dem Abend haben 32 ehrenamtliche Gemeinderäte gemeinsam 48 Stunden für die erinnerungskulturelle Diskussion investiert. Vorausgegangen waren mehrere öffentliche Veranstaltungen, Sitzungen des Gemeinderats, der Ortschaftsräte und von Ausschüssen sowie die Meinungsbildung innerhalb der Fraktionen. Die Linke-Fraktion, die SPD-Fraktion, die Fraktion AL/Grüne und Die Fraktion – Partei hatten eigene Anträge zu dem Tagesordnungspunkt formuliert.

Foto: Der Knoten an der Tübinger Fürststraße gehört zu den vier Knoten, die der Tübinger Gemeinderat aus dem Stadtbild entfernen lässt. Aus dem Bericht der Straßennamenkommission: Der Tübinger Burgvogt und Heerführer Ernst von Fürst sei an der Seite des württembergischen Herzogs Ulrichs bei der Niederschlagung des ,Armen Konrads‘ im sogenannten Bauernkrieg im Remstal 1514 durch besondere Brutalität und Menschenfeindlichkeit in Erscheinung getreten. Zwar hatte die Kommission als ethisches Problemfeld Kriegsverbrechen und Autoritarismus thematisiert, jedoch unter anderem aufgrund der großen zeitlichen Distanz, der Frage der Übertragbarkeit heutiger moralischer Werte und dünner Quellenlage keine Umbenennung vorgeschlagen, jedoch den Knoten.

 

Link zum Bericht der Straßennamen-Kommission: abschlussbericht_kommission_strassennamen.pdf (tuebingen.de)

Link zu den Sitzungsunterlagen des Gemeinderats (Beschlussvorlage, Stellungnahme, der Kommission, Anträge der Fraktionen): Gemeinderat – 26.10.2023 – 17:00-22:30 Uhr (tuebingen.de)

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