Internationalisierung der Gedenkarbeit – wichtig aber hürdenreich

Ehemaliges KZ Auschwitz: original Schild und Laterne an Blockgebäude 14a. Foto: Malin Kaiser

 

Online-Tagung und Seminar „Jugendengagement in der Erinnerungskultur international“ 3. bis 8. November 2020

Die Jugendarbeit in der Erinnerungskultur hat vielseitige Zukunftsperspektiven, eine davon die Internationalisierung. In einem Seminar des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen zum Thema Jugendengagement in der Erinnerungskultur unter Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Sannwald diskutierten Studierende mit internationalen Gästen darüber. Als Gäste nahmen am Seminar Jana Schumacher vom Jugendguide-Netzwerk des Landkreises Tübingen, Stanislawa Piotrowska und Elsbieta Pasternak von der Gedenkstätte Oswiencim/Auschwitz in Polen, Stephanie Wegener vom Adolf-Bender-Zentrum im Saarland, Sandra Brenner und Peri Bausch vom Landesjugendring Brandenburg, Jan Springl von der Gedenkstätte Terezin/Theresienstadt in Tschechien, Marketa Cekanova von Post bellum in Prag, Roman Cernik vom Johancentrum Universität Pilsen in Tschechien, sowie Philipp Lukas und Franziska Hendrich vom Förderverein Projekt Osthofen e.V. aus Rheinland-Pfalz teil.

In der digitalen Tagung zeigte sich, dass internationale Jugendarbeit von allen teilnehmenden Gedenkstätten und -einrichtungen als positiv und erstrebenswert gesehen wird. An der Umsetzung internationaler Projekte scheitern aber viele der vertretenen Einrichtungen aus unterschiedlichen Gründen.

Das Terezín Memorial ist im Gegensatz zu den anderen Projekten eine staatliche Einrichtung und richtet die pädagogische Arbeit an den Anforderungen des Ministeriums für Bildung der Tschechischen Republik aus. Im Fokus stehe dabei auch die Ausbildung tschechischer Lehrer*innen, die in mehrstufigen Ausbildungsprogrammen in Tschechien, Deutschland und Israel zum Thema Holocaust ausgebildet werden. Diese Programme spielten sich zwar in unterschiedlichen Ländern ab, allerdings komme es dabei zu wenig internationalem Austausch. Auch im Rahmen der Seminare, die sowohl für tschechische als auch für Jugendliche und Schulen anderer Nationen angeboten werden, blieben die Gruppen getrennt und Austauschmöglichkeiten oder gemeinsame Projekte seien nicht vorgesehen. Generell sei es aber möglich, sowohl Seminare als auch Führung in der Gedenkstätte in englischer Sprache zu buchen.

Das Memorial of Nations Pilsen, ein Projekt der Post Bellum Prag, arbeitet vorwiegend mit Jugendlichen aus Pilsen und hat zum Ziel, Erinnerungen an historische Ereignisse des 20. Jahrhunderts in Form von aufgezeichneten Zeitzeug*inneninterviews zu sammeln. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht nur Ereignisse im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust. Interviewpartner*innen sind vorwiegend Personen aus Tschechien, aber auch internationale Zeitzeug*innen. Die Audiodateien sind in einem Online-Archiv weltweit zugänglich. Das Projekt „Memories of Nations“ Pilsen und auch das Theaterprojekt des Johancentrum an der Universität Pilsen richten sich in erster Linie an Jugendliche und Studierende aus Tschechien, speziell aus Pilsen und sind damit primär lokal ausgerichtet. Es bestehe ein Interesse am internationalen Austausch, beispielsweise über die Einbindung internationaler Erasmus-Student*innen in zukünftige Projekte.

Die Internationale Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim (Auschwitz) trägt den Begriff der Internationalität bereits im Namen. Im Vordergrund stehen dabei bi- und trinationale Projekte mit Teilnehmer*innen aus Polen, Deutschland und der Ukraine. Die Arbeit findet dabei primär in englischer Sprache oder mit Unterstützung von Dolmetscher*innen statt. Insbesondere in Reflexionsrunden, in denen Jugendliche ihre Erfahrungen und Gefühle aus den und während der Seminare(n) beschreiben und austauschen, spielen Dolmetscher*innen eine wichtige Rolle, um das Hemmnis der sprachlichen Barriere weitestgehend auszuschalten.

Im Adolf-Bender-Zentrum hingegen findet so gut wie kein internationaler Austausch in der Gedenkarbeit statt, trotz der Nähe zur französischen Grenze. Grund hierfür sei die hohe sprachliche Barriere, nicht nur zwischen Jugendlichen, sondern insbesondere auch auf fachlicher, beziehungsweise organisatorischer Ebene, da von den Mitarbeitenden keine*r Französisch spreche. Darüber hinaus fehlten finanzielle Mittel, Zeit und Personal, um inter- oder binationale Projekte aufzubauen und umzusetzen. Ähnlich verhält es sich bei den Projekten des Landesjugendrings Brandenburg und bei den Jugendguides in Tübingen. Es werden keine Projekte oder Führungen in englischer Sprache angeboten, da die Nachfrage kaum vorhanden und die Sprachkenntnisse nicht ausreichend seien.

Der Landesjugendring Brandenburg begleitet und unterstützt im Projekt überLAGERt die teilnehmenden Jugendgruppen bei ihren Recherchen, in deren Rahmen eine Gruppe auch nach Slowenien gereist ist, um dort mit Zeitzeug*innen zu sprechen. Mit Jugendlichen vor Ort in Slowenien kam dabei allerdings kein Austausch zustande. Das sei auch nicht der Fokus des Projektes gewesen, könne aber für zukünftige Projekte interessant sein. Insgesamt schätzen Peri Bausch und Sandra Brenner internationale Erinnerungsarbeit als notwendig und zugleich aufwändig ein. Erinnerungskultur sei so divers und auf Basis unterschiedlicher Erfahrungen der Nationen werde auch unterschiedlich erinnert, was interessant sei, aber sicherlich herausfordernd, solch unterschiedliche Ansätze auf einen Nenner zu bringen. Ein wichtiger Schritt sei es, Lebensgeschichten von Opfern, Dokumente und Material weltweit zugänglich zu machen, sodass es gut einsehbar und damit Geschichten und Wege nachvollziehbar werden.

Beim Förderverein Projekt Osthofen in Rheinland-Pfalz ist es auf Anfrage möglich, auch Touren in englischer Sprache zu erhalten, eine regelmäßige Austauschbeziehung bestehe derzeit allerdings nicht. Hin und wieder kämen Schulklassen mit Austauschschüler*innen, beispielsweise aus Irland und es gebe auch Projekte zum Thema politische Bildung, die international aufgezogen würden.

Auf die Frage, was die jeweiligen Interviewpartner*innen sich unter Internationalisierung und Globalisierung von Gedenk- und Erinnerungsarbeit vorstellen, kam im Gespräch mit Sandra Brenner und Peri Bausch eine spannende und grundlegende Idee, ein Wunsch zur Sprache: Wichtig sei es zunächst, die „Möglichkeit für lokale Erinnerungskultur in allen Ländern der Welt [zu] schaffen, denn nicht überall ist das möglich, aufgrund politischer Verfolgung oder ähnlichem. Es gilt Unterstützung für lokale Projekte zu gewährleisten, Ergebnisse und Arbeiten online bereitzustellen und darauf folgt dann internationale Vernetzung. Es ist wichtig, die Diversität von Erinnerungskultur zu erhalten und Austausch zu fördern. Die große Frage ist: Wie kann das gewährleistet und unterstützt werden?“

Insgesamt geht aus allen Gesprächen hervor, dass ein Interesse am internationalen Austausch und der Arbeit mit Gruppen aus unterschiedlichen Ländern durchaus besteht, die Umsetzung allerdings herausfordernd sei. Es gebe auf EU-Ebene zwar finanzielle Hilfen und Gelder, die bereitgestellt werden könnten, diese seien aber schwierig und aufwändig zu beantragen. Für diese bürokratischen Prozesse fehlten an den meisten Stellen dann wiederum personelle und zeitliche Ressourcen. Eine weitere Herausforderung, neben personellen, sprachlichen und finanziellen Hürden, sei die Frage der Herangehensweise und Umsetzung von internationaler Gedenkarbeit vor dem Hintergrund der Frage, wie internationale, unvergleichlich schreckliche Ereignisse vergleichbar gemacht werden könnten, um ein gemeinsames Konzept von Gedenken und Erinnern erarbeiten zu können. Ein wichtiger Aspekt diesbezüglich sei es, weitgefasstes Gedenken bereits in der schulischen Bildung zu verankern, sodass Schüler*innen sich beispielsweise auch mit der Kolonialzeit oder dem transatlantischen Sklavenhandel auseinandersetzten und Gedenkarbeit von Grund auf internationaler gedacht würde. Die große Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, wie globale Gedenkarbeit aussehen kann. Voraussetzungen seien das Abrücken vom eurozentrischen Weltbild und die Offenheit für andersartige Konzepte des Gedenkens und Erinnerns, als sie uns bekannt sind.

Ein interessanter Ansatz, der aus den meisten der Gespräche hervorging, ist die nationale und internationale Vernetzung der Gedenkstätten und Begegnungseinrichtungen untereinander. So machen die Jugendguides in Tübingen im Laufe ihrer Ausbildung Ausflüge zu unterschiedlichen Gedenkstätten in Deutschland und im Ausland und treten dort in Kontakt mit den Zuständigen vor Ort. Auch die Internationale Jugendbegegnungsstätte Oświęcim steht im Austausch mit der Gedenkstätte Ausschwitz und mit anderen Projekten. Der Landesjugendring Brandenburg, das Adolf-Bender-Zentrum, die Gedenkstätte Terezín, Post Bellum Prag und der Förderverein Projekt Osthofen e. V. sind ebenfalls an Kooperationen und Austausch interessiert und engagieren sich in dieser Richtung. In der Abschlussdiskussion wurde deutlich, dass das Thema Internationalisierung von Erinnerungskultur wichtig ist und insbesondere in der Arbeit mit Jugendlichen ein Austausch über nationale Grenzen hinweg gefördert werden sollte. Auch wenn der Zugang zu finanziellen Fördermitteln derzeit noch kompliziert sei, so würden doch stetig Anlaufstellen eingerichtet, die bei der Abwicklung bürokratischer Prozesse unterstützen könnten. Es sei unerlässlich in Zukunft an diesem Thema dranzubleiben und Konzepte zu entwickeln. Es ist demnach festzuhalten, dass insgesamt Interesse und Offenheit für internationale Zusammenarbeit und Austausch bestehen, dass diese auch als wichtige Schritte für die Erinnerungsarbeit erachtet werden, dass aufgrund begrenzter Ressourcen zum aktuellen Zeitpunkt an den meisten Stellen allerdings der Fokus in erster Linie auf der lokalen Gedenkarbeit liegt.

 

Autorin: Maya Mohrmann

Redaktion: Kreisarchiv Tübingen

Auswertung zu der Online-Tagung „Jugendengagement in der Erinnerungskultur international“ von Landkreis Tübingen und Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen 2020, Leitung: Prof. Dr. Wolfgang Sannwald

 

 

Quellen:

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 609: LUI Grundlagen

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 610: LUI Jugendguide Tübingen

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 611: LUI Gedenkstätte Oswiencim (Auschwitz)

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 612: LUI Reflexion Oswienzim (Auschwitz)

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 613: LUI Adolf Bender 1

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 614: LUI Adolf Bender 2

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 615: LUI Adolf Bender 3

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 616: LJR Brandenburg

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 617: LUI Terezin

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 618: LUI Terezin Nachgespräch

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 619: LUI Pilsen

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 620: LUI Osthofen

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 621: LUI Nächste Schritte

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 622: LUI Vorbereitung Präsentation

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 623: LUI Abschlussbesprechung

Kreisarchiv Tübingen, Sammlung Erinnerung Nr. 624: LUI Podium

 

 

 

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