Theodor Dobler 1945 – die Hymne auf den “Retter der Stadt Tübingen” und Fragen an seine Biografie der NS-Zeit

Theodor Dobler 1945 – die Hymne auf den “Retter der Stadt Tübingen” und Fragen an seine Biografie der NS-Zeit

von Jérôme Seibert

„So hat der Führer des Standorts, der Feldarzt Theodor Dobler/Bleibenden Ruhm sich verdient, Tübingens Achtung und Dank.“ Mit diesen Versen schließt ein Lobgedicht, das dem Schorndorfer Arzt Theodor Dobler (1893 – 1973) gewidmet ist.

Wie aus dem Titel des Gedichtes, „Dem Retter der Stadt Tübingen am 19. April 1945“, ersichtlich wird, schreibt es Theodor Dobler eine entscheidende Rolle bei der Rettung Tübingens zu. Im Gegensatz zu vielen anderen Ortschaften wurde die Stadt Tübingen von großflächigen Zerstörungen in Folge von Kampfhandlungen oder Bombardements verschont. Das Gedicht drückt diesen Gegensatz zwischen Erhalt und Zerstörung mit einem Rückgriff auf ein Gedicht des schwäbischen Dichters Ludwig Uhlands aus. Der hatte ein Wohnhaus im Blick: „Und, wo Uhland gewohnt, siehst du nur Trümmer und Schutt./Doch in Tübingen hat man nicht Grund zu besonderer Klage“. Während Uhlands langjähriges Wohnhaus sowie umliegende Gebäude an der Ecke Neckarbrücke – Mühlstraße – Gartenstraße 1944 durch einen Bombentreffer zerstört wurde, kam es im Rest der Altstadt im Verlauf des Krieges zu keinen größeren Schäden in der Tübinger Altstadt nördlich des Neckars. Folglich habe die Stadt Tübingen keinen Anlass zu „besonderer Klage“.

Theodor Dobler war 1945 Oberfeldarzt im Lazarett auf dem Sand. Nach eigenen Angaben und gestärkte durch Aussagen weiterer Zeitzeugen erreichte er in dieser Rolle und unter Lebensgefahr, dass Tübingen zum Lazarettsperrbezirk ernannt und kampflos der anrückenden französischen Armee übergeben wurde. In dramatischen Versen übernimmt das Gedicht diese Sichtweise: „Kampfwagen stehn vor den Toren der Stadt zum vernichtenden Angriff,/Und verbrecherisch noch hetzt man ins Feuer das Volk!/Da erhebt sich empört der leitende Feldarzt des Standorts[gemeint ist Dobler],/Schlägt mit eiserner Faust nieder den heillosen Plan,/Weist die Frevelnden hin auf des Genfer Kreuzes Bedeutung [gemeint ist das Rote Kreuz] ,/ „Selber entschlossen zum Tod, würde missachtet das Kreuz“.

Die Stadt Tübingen zeigte sich dankbar und benannte schon 1945 die Straße am Landgericht nach Theodor Dobler – die heutige Doblerstraße. Im selben Jahr ernannte die Eberhard Karls Universität Tübingen ihn zum Ehrensenator. Aus Doblers Universitätsakte stammt das hier ausgiebig zitierte Gedicht, welches aus 52 Versen besteht. Ein Veröffentlichungsdatum ist nicht angegeben, jedoch datiert die Akte auf das Jahr 1945. Somit ist anzunehmen, dass das Gedicht aus diesem Jahr stammt. Ein vollständiger Autorenname ist nicht angegeben. Das Gedicht ist lediglich mit „R.L. in T.“ signiert, wobei T wohl für Tübingen stehen dürfte.

Obgleich wenig bekannt, steht das Gedicht damit exemplarisch für die positive Rezeption Theodor Doblers im Tübingen der Nachkriegszeit – eine Rezeption, die bis heute anhält. Diese wird derzeit aufgrund Ungereimtheiten in Doblers Lebenslauf und Selbstdarstellung zunehmend hinterfragt. Stein des Anstoßes ist dabei der Bericht der Kommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennamen. Mehr Details zu Doblers Biografie, seiner Rezeption sowie den Erkenntnissen der Kommission finden sich in einem gleichzeitig veröffentlichten Artikel in Erinnern-vor-Ort.

 

Quellen:

Archiv der Eberhard Karls Universität Tübingen. 1945. „Ehrensenator-Diplom. Theodor Dobler (1893-1973)”. UAT 117/291a, Nr.11a

Archiv der Eberhard Karls Universität Tübingen. 1953-1973 „Akte des verstorbenen Ehrensenators Theodor Dobler“. UAT 596/2932

Kommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennamen. 2023. „Abschlussbericht“.

Hans-Joachim Lang. Schwäbisches Tagblatt. 2020. „Die Geschichte des Schwäbischen Tagblatts. 1945-1949: Zuversichtlich zur lichteren Zukunft“. Verfügbar unter: https://www.tagblatt.de/Nachrichten/1945-1949-Zuversichtlich-zur-lichteren-Zukunft-483385.html

Loading

Related posts